Hofmann-Text

Fachübersetzungen spiritueller Texte / Eigene Texte

Einsamkeit

Written By: Eva D. Hofmann

Sie sah aus dem Fenster in den leicht verschneiten Hinterhof. Es war Anfang Dezember und ein grauer, trüber Nachmittag und Astrid wusste nichts mit sich anzufangen. Bereits um vier Uhr konnte man die aufkommende Dämmerung erahnen, schon bald würde es dunkel werden. Sie ließ den Blick über die vielen Fenster der gegenüberliegenden Häuser wandern. Viele waren dunkel, wirkten leer und kahl. Nur wenige Gardinen waren zu erkennen. Auf dem obersten Balkon des vor kurzem neu gestrichenen, leuchtend gelben Hauses gegenüber turnten zwei Eichhörnchen auf den Balkonkästen und suchten nach Futter. Sie hatten sich blitzschnell von unten im Garten bis in die obersten Zweige des Ahornbaumes von Ast zu Ast hochgehangelt und scharrten jetzt mit wippenden Schwänzen in der Erde der Balkonkästen.

Das Fenster genau gegenüber ihrem Fenster im dritten Stock des gelben Hauses war erleuchtet und gab den Blick in eine Küche frei. Eine zierliche Frau wuselte hin und her, kostete vorsichtig aus einem Topf, der vermutlich auf dem Herd stand und griff in den Schrank über ihr, um eine kleine Dose herauszuholen und eine Prise aus deren Inhalt in den Topf zu krümeln. Sie rührte langsam und konzentriert um.

Astrid beneidete die Frau um ihre Geschäftigkeit, sie selber hatte so wenig Antrieb für sich allein zu kochen und lebte schon seit Tagen von Tiefkühlmahlzeiten. Packung auf, Inhalt in die Pfanne, warm werden lassen und essen. Schmeckte ja ganz gut, aber war eben nullachtfünfzehn Geschmack, nichts raffiniertes, liebevoll für eine Familie und deren Geschmäcker gewürzt und auf Sonderwünsche abgestimmt. Astrid seufzte. Sie wohnte nun schon ein paar Jahre im Haus und hatte der unbekannten Nachbarin gegenüber schon öfters zugeschaut und sich gewünscht, an ihrer Stelle zu sein. Das warme Licht aus der gegenüberliegenden Küche zog sie immer wieder magisch an. Gedankenverloren öffnete sie ihr Fenster um zu lüften. Da trat die Nachbarin von gegenüber auf ihren Balkon vor der Küche und holte sich aus einem Blumenkasten einen Zweig einer frischen Gewürzpflanze. Bevor sie sich umdrehte und wieder in die Küche zu gehen, fiel ihr Blick auf Astrid, die verloren am offenen Fenster stand.  Die Nachbarin lächelte über den Hinterhof zu ihr hinüber und winkte freundlich.

Astrids Arm schnellte nach oben und es wurde ihr warm vor Freude. Sie erwiderte das Winken und nickte einen stummen Gruß. Da rief die Nachbarin: „Hallo, wie geht es?“ und Astrid antwortete – nicht ganz wahrheitsgemäß aber wie es so üblich ist – mit „danke, gut! Was kochen Sie denn Leckeres?“ Die Nachbarin strahlte und antwortete: „Mischgemüse mit Reis, wir sind Vegetarier.“ Astrid nickte und rief „Ich auch, ich esse auch ganz viel vegetarisch.“

Die Nachbarin winkte nochmals und antwortet: „Mein Essen auf dem Herd ruft, aber wollen wir nicht mal einen Kaffee zusammen trinken?“ Astrids Augen wurden feucht vor Freude und sie rief laut und klar: „Ja gerne, wie wäre es morgen Nachmittag? Ich arbeite im Home Office und könnte mir um drei Uhr Zeit für einen Kaffee oder Tee nehmen. Kommen Sie doch vorbei. Es ist die Hausnummer 39, 3. Stock. Ich freue mich!“ Die Nachbarin sagte sofort zu und winkte nochmals freundlich zum Abschied. Astrid schloss das Fenster und setzte sich beschwingt wieder an ihre Arbeit – sie freute sich über die neue Bekanntschaft.

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