Hofmann-Text

Fachübersetzungen spiritueller Texte / Eigene Texte

Umarmung in der Unendlichkeit

Written By: Eva D. Hofmann

Miriam schleppte sich in der Februarhitze einer südindischen Stadt eine staubige, lärmende Straße entlang zum Ashram des vielen Indern bekannten indischen Weisen Ramana Maharshi. Der Schweiß tropfte ihr von der Stirn und lief ihr unter der leichten indischen Kleidung die Wirbelsäule hinunter. Sie wusste nichts mich sich anzufangen. Nach rechts abbiegen? Nach links? Überhaupt abbiegen zu irgendeinem kleinen Restaurant oder weitergehen zum Ashram? Sie kam an einem kleinen Teestand vorbei und die Tafel mit den Aushängen fiel ihr ins Auge – speziell ein Zettel mit einer Satsang-Ankündigung einer Inderin namens Ma. Mas Gesichts fesselte Miriams Aufmerksamkeit und sie studierte den Aushang genau. In einer halben Stunde sollte der wöchentliche Satsang beginnen – in einer Meditationshalle ca. 5 km entfernt. „Da will ich hin!“ Dieser Gedanke lies sie nicht mehr los.

Sie winkte einer der Rikschas am Straßenrand, nannte dem Fahrer die Adresse der Meditationshalle und als dieser bejahend nickte und wusste, wohin sie wollte, handelte sie wie sie es in Indien gelernt hatte den Preis herunter und stieg schließlich ein. Der Fahrer schlängelte sich durch den quirligen Verkehr mit laut hupenden Autos und knatternden Mopeds und Rikschas. Apathisch nahm sie den Trubel kaum wahr und stieg benommen nach einer Viertelstunde am Ort des Satsangs aus.

Vor dem Haus hatte sich bereits eine Schlange gebildet. Etwa zwei Dutzend Menschen warteten meist schweigend oder bei leise geführten Gesprächen gelassen auf den Einlass. Miriam überflog die Gesichter – kein bekanntes Gesicht war darunter, niemand die oder den sie in den letzten Tagen in einem der Cafés oder Restaurants rund um den Ashram Ramanas gesehen oder kennengelernt hatte. Miriam fühlte sich plötzlich aufgeregt – sie schob ihre Oberlippe über die Unterlippe und fühlte ihre kleinen flaumigen Härchen unterhalb der Unterlippe, das gab ihr immer Sicherheit auch wenn es für andere vielleicht seltsam aussah.

Zehn Minuten vor dem Beginn des Satsang durften sie eintreten. Alle zogen die Schuhe vor dem Satsang-Raum aus und traten schweigend ein. Ein weiß gestrichener, sonnendurchleuchteter Raum mit Sitzkissen vor dem noch leeren Sessel von Ma und Stühlen in den hinteren Reihen erwartete sie. Ein Mantra, das den heiligen Berg Arunachala zum Thema hatte, wurde vom Band gespielt. Miriam bekam einen Platz in der ersten Stuhlreihe am Fenster und schaute verträumt hinaus über grüne Felder auf dem heiligen Berg, den sie erst vor ein paar Tagen zu Fuß umrundet hatte.

Die Musik wurde leiser und stoppte. Die Tür zum Raum ging auf und eine kleine ältere Inderin betrat den Raum. Alle legten respektvoll die Hände zum Namaste zusammen und grüßten sie ehrfürchtig. Auf dem Weg zu ihrem Sessel verteilte Ma hier und dort ein Lächeln oder ein Nicken, das Wiedererkennen andeutete. Als sie Platz genommen hatte, setzten sich alle schweigend. Mas Helfer steckte ihr ein Mikrofon an und dann saß sie einfach nur ruhig da und erfüllte den Raum mit ihrer Präsenz. Dann glitt ihr Blick über die Reihen, blieb hier und dort hängen und sie schaute lange in die Augen der einen oder anderen Person. Als Mas Blick Miriam traf, zuckte ein Stromstoß durch sie. Die Zeit schien anzuhalten. Nach Sekunden, Minuten oder Stunden – Miriam hatte jegliches Zeitgefühl verloren, wendete Ma mit einem kleinen Nicken und einem geflüsterten „Thank you“ den Blick wieder ab. Miriam fühlte eine tiefe innere Ruhe und genoss die absolute Stille, die in ihr entstanden war.

Nach dem Satsang bildet sich eine lange Reihe von Menschen, die Ma von Angesicht zu Angesicht treffen wollten. Langsam bewegt sich die Schlange voran und Miriam sah, wie einer nach dem anderen vor Ma niederkniete und Ma ihre Hand segnend auf die Stirn der vor ihr Knieenden legte. Einige Frauen und Männer beugten sich tief vor Ma und berührten als Erstes Mas Füße, die in weißen Socken steckten. Miriam kam an die Reihe und zögerte kurz, dann spürte sie den Impuls sich ebenfalls zu beugen und sie berührte ehrfürchtig Mas Füße – es fühlte sich so richtig an für sie.

Als Miriam sich wieder aufrichtet, schaute ihr Ma nochmals lange in die Augen und dann öffnete Ma die Arme und Miriam fand sich wie im Traum in einer Umarmung wieder. Ehe sie sich wundern konnte, woher der Impuls kam, verschwanden Zeit und Raum in ihr. Irgendwie fand sie sich vor der Satsanghalle wieder und wanderte die Straße entlang in Richtung ihres Zimmers. Sie fühlte ihre Füße, die einfach nur gingen, Schritt für Schritt. Sie nahm die Umgebung deutlich und scharf war, doch war auch getrennt von ihr. Die Menschen, Tiere, Autos, Rikschas, alles war ihr begegnete rief keine innere Reaktion hervor. Sie fühlte sich leicht, schwebend ohne Anhaftung und voller unerschütterlicher Ruhe.